Stellen Sie sich vor, Ihre Eltern haben Sie als Bevollmächtigten in ihrer Vorsorgevollmacht eingesetzt.
Sind Sie dann automatisch zur persönlichen Betreuung oder gar Pflege verpflichtet, falls Ihre Eltern sich eines Tages nicht mehr selbst um ihre Belange kümmern können?
Wie ist die rechtliche Situation, wenn Sie praktisch nicht dazu in der Lage sind, weil Sie hundert Kilometer entfernt wohnen? Dieser Artikel beleuchtet eine wichtige BGH-Entscheidung, die Antworten auf diese Fragen gibt.
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Was bedeutet eine Vorsorgevollmacht?
Mit einer Vorsorgevollmacht geben z.B. Ihre Eltern oder Ihr Ehepartner Ihnen die Befugnis, sie rechtlich zu vertreten, falls sie dazu selbst nicht mehr in der Lage sein sollten. Das heißt, Sie könnten im "Fall der Fälle" etwa finanzielle oder gesundheitliche Entscheidungen für sie treffen. Ansonsten bekämen Ihre Eltern oder Ehepartner einen sog. gesetzlichen Betreuer.
Mögliche Fragestellungen
- Haben Sie die Zeit und die Fähigkeiten, die Person, die Sie bevollmächtigt hat, etwa auch selbst zu pflegen? Müssten Sie die betreffende Person überhaupt selbst pflegen?
- Könnte ein Betreuungsgericht trotz der Vorsorgevollmacht einen gesetzlichen Betreuer einsetzen, falls Sie nicht in der Lage sind, die erforderlichen Hilfeleistungen persönlich zu erbringen?
Rechtliche Klarheit: Die BGH-Entscheidung
Der BGH hat mit Beschluss vom 16.11.2022 (XII ZB 212/22) Klarheit geschaffen.
1. Pflegepflicht: Als Bevollmächtigter sind Sie nicht automatisch zur Pflege oder persönlichen Betreuung des Vollmachtgebers verpflichtet. Eine solche Pflegepflicht entsteht nur, wenn sie ausdrücklich vereinbart wurde, etwa in einem Übergabevertrag.
2. Einsetzung eines gesetzlichen Betreuers: Eine wirksam erteilte Vorsorgevollmacht steht der Bestellung eines Betreuers durch das Gericht entgegen. Ausnahmen gelten nur, wenn der Bevollmächtigte als "ungeeignet" angesehen wird, die Angelegenheiten des Vollmachtgebers zu regeln.
Was sagt der BGH?
Nach der Rechtsprechung des BGH ist beispielsweise die räumliche Entfernung zwischen dem Bevollmächtigten und dem Vollmachtgeber kein ausreichender Grund, den Bevollmächtigten als "ungeeignet" einzustufen. Der BGH betont, dass ein Bevollmächtigter nur zur rechtlichen Vertretung, aber nicht zur persönlichen Betreuung verpflichtet ist. Daher dürfen Sie als Bevollmächtigter Hilfeleistungen Dritter, wie etwa eines Pflegedienstes, in Anspruch nehmen.
Fazit
Die gute Nachricht ist: Sie müssen nicht am Wohnort Ihrer Eltern oder Ihres Ehepartners sein und benötigen auch keine pflegerische Qualifikation, um Ihre Rolle als Bevollmächtigter auszuüben. Ihre Aufgabe besteht darin, die notwendigen rechtlichen und praktischen Schritte für den Vollmachtgeber zu organisieren, aber nicht, diese selbst auszuführen.
Mit der Vorsorgevollmacht können Sie als Bevollmächtigter also sicherstellen, dass der Wille und die Interessen Ihrer Lieben auch dann gewahrt bleiben, wenn sie sich nicht mehr selbst um ihre Angelegenheiten kümmern können. Und das ganz unabhängig von Ihrem Wohnort oder Ihren pflegerischen Fähigkeiten.