Stundung des Pflichtteils: Pflichtteilsanspruch erst später bezahlen

Pflichtteil stunden

Wenn Sie als Erbe den Pflichtteil auszahlen müssen, könnte das zu großen finanziellen Problemen führen.

 

Was können Sie tun, wenn das Erbe z.B. nur aus einer Immobilie besteht und keine liquiden Mittel verfügbar sind?

 

In diesem Artikel erkläre ich Ihnen, wie Sie eine Stundung des Pflichtteils beantragen können, um eine Zwangsveräußerung zu verhindern. Auch erfahren Pflichtteilsberechtigte, welche Rechte sie haben, wenn der Erbe nicht sofort zahlen kann.

 

Video: Pflichtteil stunden (mit Beispiel)

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1. Was bedeutet die Stundung des Pflichtteils?

Pflichtteilsansprüche entstehen automatisch mit dem Erbfall und sind damit sofort fällig (§ 2317 BGB). Das bedeutet, dass ein Erbe den Pflichtteil sofort zahlen muss.

 

Die Stundung des Pflichtteils ist eine gesetzliche Möglichkeit, die dem Erben erlaubt, die Auszahlung des Pflichtteilsanspruchs an den Pflichtteilsberechtigten aufzuschieben. Dies bedeutet, dass der Pflichtteilsberechtigte zwar weiterhin Anspruch auf einen bestimmten Betrag hat, dieser jedoch nicht sofort ausgezahlt werden muss. Diese Regelung hilft insbesondere Erben, die stark belastet wären, wenn sie den Pflichtteil sonst sofort und in voller Höhe auszahlen müssten.

 

a) Wie funktioniert die Stundung des Pflichtteils?

Die Stundung des Pflichtteils ist auf zwei Wegen zu erreichen:

 

1. Eine Möglichkeit ist eine Einigung zwischen dem Erben und dem Pflichtteilsberechtigten (sog. Stundungsvereinbarung). 

 

2. Ansonsten kann eine Stundung durch eine gerichtliche Entscheidung geregelt werden. Der Erbe kann die Stundung beantragen, wenn die sofortige Zahlung eine unbillige Härte darstellen würde. Das Gericht prüft die jeweiligen Interessen beider Parteien und entscheidet auf Grundlage dieser Abwägung, ob eine Stundung gerechtfertigt ist.

 

b) Wann kann ein Erbe die Pflichtteil verlangen?

Eine Stundung kann vom Erben verlangt werden, wenn die sofortige Erfüllung des Pflichtteils eine wirtschaftliche Existenzbedrohung darstellen würde. Insbesondere dann, wenn der Nachlass hauptsächlich aus einer selbstgenutzen Immobilie besteht und der Erbe diese verkaufen müsste, um den Pflichtteil auszuzahlen, kann eine Stundung beantragt werden. Das Gesetz erkennt an, dass es in solchen Fällen für den Erben unzumutbar sein kann, das Familienheim oder andere wesentliche Vermögenswerte aufzugeben.

 

c) Welche gesetzlichen Grundlagen gibt es für die Stundung?

Die gesetzliche Grundlage für die Stundung des Pflichtteils ist in § 2331a BGB geregelt. Diese Vorschrift ermöglicht es dem Erben, die Stundung zu verlangen, wenn die sofortige Zahlung des Pflichtteilsanspruchs für ihn eine unbillige Härte bedeuten würde. Das Gericht berücksichtigt hierbei sowohl die Interessen des Erben als auch die des Pflichtteilsberechtigten.

 

Die Vorschrift des § 2331a Abs. 1 BGB lautet:

 

"Der Erbe kann Stundung des Pflichtteils verlangen, wenn die sofortige Erfüllung des gesamten Anspruchs für den Erben wegen der Art der Nachlassgegenstände eine unbillige Härte wäre, insbesondere wenn sie ihn zur Aufgabe des Familienheims oder zur Veräußerung eines Wirtschaftsguts zwingen würde, das für den Erben und seine Familie die wirtschaftliche Lebensgrundlage bildet. Die Interessen des Pflichtteilsberechtigten sind angemessen zu berücksichtigen."

 

2. Wie beantragt man die Stundung des Pflichtteils?

a) Welche Unterlagen sind für eine gerichtliche Stundung nötig?

Um die Stundung des Pflichtteils zu beantragen, benötigt der Erbe verschiedene Unterlagen. Zunächst bedarf es eines Stundungsantrages, in dem die bestehende Situation darzulegen und auszuführen ist, dass im konkreten Fall die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Stundung erfüllt sind. Zu belegen sind die Zusammensetzung des Nachlasses sowie die finanzielle Situation des Erben. Darüber hinaus können Dokumente, die den Wert der Immobilie oder anderer Vermögenswerte belegen, hilfreich sein.

 

b) Wo wird der Antrag auf Stundung eingereicht?

Wo der Antrag einzureichen ist, hängt davon ab, ob der Pflichtteilsanspruch zwischen dem Erben und dem Pflichtteilsberechtigten unstreitig ist.

 

Streiten sich beide Parteien bereits vor Gericht z.B. über die genaue Höhe des Pflichtteilsbetrages, dann ist bei diesem Gericht (dem sog. Prozessgericht) der Stundungsantrag zu stellen.

 

Ist der Pflichtteilsanspruch hingegen unstreitig und es besteht "nur" das Problem, dass dieser vom Erben nicht sofort bezahlt werden kann, dann ist das Nachlassgericht zuständig, also dort der Antrag einzureichen.

 

c) Was passiert nach dem Antrag auf Stundung?

Nach Einreichung des Antrags prüft das Gericht, ob die Voraussetzungen für eine Stundung vorliegen. Es berücksichtigt dabei die Situation des Erben sowie die Interessen des Pflichtteilsberechtigten. Wenn das Gericht zu dem Schluss kommt, dass die sofortige Zahlung für den Erben eine "unbillige Härte" darstellt, kann es eine Stundung bewilligen.

 

Das Gericht legt dabei auch fest, wie lange die Stundung gilt und welche Bedingungen gegebenenfalls damit verbunden sind, zum Beispiel die Stellung von Sicherheiten oder die Zahlung von Zinsen. Möglich ist auch, dass Ratenzahlungen bewilligt werden.

 

3. Wann ist die Stundung des Pflichtteils möglich?

a) In welchen Fällen wird die Stundung gewährt?

Die Stundung wird beispielsweise dann gewährt, wenn der Erbe andernfalls gezwungen wäre, das Familienheim oder andere für ihn essenzielle Vermögenswerte zu verkaufen. Stellt der zum Nachlass gehörende Betrieb die wirtschaftliche Lebensgrundlage für den Erben und seine Familie dar, kann dies auch eine Stundung rechtfertigen.

 

Entscheidend ist, ob eine sofortige Bezahlung des Pflichtteils für den Erben 

  1. eine unbillige Härte bedeuten würde und
  2. diese "unbillige Härte" wegen der Art der Nachlassgegenstände besteht.

Schließlich müssen die Interessen des Pflichtteilsberechtigten, der grundsätzlich einen sofortigen Zahlungsanspruch hat, "angemessen" berücksichtigt werden. 

 

Es kommt also immer auf den konkreten Einzelfall an.

 

b) Was bedeutet unbillige Härte im Kontext der Stundung?

Eine unbillige Härte liegt vor, wenn die sofortige Erfüllung des Pflichtteilsanspruchs für den Erben eine erhebliche Beeinträchtigung seiner Lebensverhältnisse bedeuten würde. Dies kann der Fall sein, wenn der Erbe sein Zuhause verkaufen müsste oder wenn die Zahlung des Pflichtteils eine finanzielle Notlage herbeiführen würde. Das Gericht wägt die Interessen des Pflichtteilsberechtigten gegen die Belastungen des Erben ab, um eine faire Entscheidung zu treffen.

 

c) Wie beeinflusst die Art der Nachlassgegenstände die Stundung?

Die Art der Nachlassgegenstände spielt eine wichtige Rolle bei der Entscheidung über die Stundung. Besteht der Nachlass vorwiegend aus nicht liquiden Vermögenswerten wie Immobilien oder einem Unternehmen, ist eine sofortige Zahlung des Pflichtteils oft nicht möglich, ohne diese Vermögenswerte zu veräußern. In solchen Fällen kann eine Stundung gewährt werden, um dem Erben die Möglichkeit zu geben, den Pflichtteil später zu bezahlen, ohne das Familienvermögen aufzulösen.

 

Der Verkauf etwa geerbter Kunstgegenstände oder Antiquitäten wird hingegen kaum eine Stundung rechtfertigen. Denn deren Veräußerung wird regelmäßig nicht die Existenzgrundlage des Erben und seiner Familie gefährden.

 

4. Welche Rechte haben Pflichtteilsberechtigte bei der Stundung?

a) Wie wird der Pflichtteilsberechtigte berücksichtigt?

Der Pflichtteilsberechtigte sollte zum Stundungsantrag des Erben gegenüber dem Gericht schriftlich Stellung nehmen. Vorsorglich sollte er insoweit die Gewährung von Sicherheiten und eine Verzinsung verlangen.

 

b) Was sind die Interessen des Pflichtteilsberechtigten?

Der Pflichtteilsberechtigte hat ein berechtigtes Interesse daran, seinen Pflichtteil möglichst zeitnah und in voller Höhe zu erhalten. Für ihn bedeutet die Stundung eine Verzögerung der Auszahlung, weshalb ihm zumindest Sicherheiten und eine angemessene Verzinsung des gestundeten Betrags zustehen. Das Gericht versucht, diese Interessen mit den Belastungen des Erben in Einklang zu bringen.

 

c) Was passiert, wenn die Stundung nicht gewährt wird?

Wird die Stundung nicht gewährt, muss der Erbe den Pflichtteil sofort auszahlen. In vielen Fällen bedeutet dies, dass der Erbe gezwungen ist, Vermögenswerte zu veräußern, um die Mittel für die Auszahlung zu beschaffen. Dies kann insbesondere bei Immobilien zu einem erheblichen Verlust des familiären Besitzes führen. Der Erbe sollte in solchen Fällen frühzeitig andere Finanzierungsmöglichkeiten, etwa einen Bankkredit, prüfen, um die Auszahlung zu ermöglichen.

 

5. Wie erfolgt die Auszahlung des Pflichtteils nach der Stundung?

a) Wann wird der Pflichtteil fällig?

Der Pflichtteil wird grundsätzlich mit dem Tod des Erblassers fällig. Wenn eine Stundung gewährt wurde, verschiebt sich der Zeitpunkt der Auszahlung auf den vom Gericht festgelegten Termin. Die Fälligkeit kann somit mehrere Jahre nach dem Tod des Erblassers eintreten, je nachdem, wie lange die Stundung gewährt wird.

 

b) Wie wird die Auszahlung des Pflichtteils geregelt?

Die Auszahlung des Pflichtteils erfolgt nach Ablauf der Stundung. Der Erbe ist dann verpflichtet, den gestundeten Betrag inklusive der vereinbarten Zinsen an den Pflichtteilsberechtigten zu zahlen. Die von ihm dem Pflichtteilsberechtigten gewährten Sicherheiten sind von diesem dann zurückzugeben.

 

Bleibt nach dem Ende der Stundung hingegen die Zahlung des Erben aus, kann der Pflichtteilsberechtigte die ihm vom Erben gewährte Sicherheiten verwerten, also z.B. die Zwangsversteigerung der betreffenden Immobilie aus einer zu seinen Gunsten als Sicherheit bestellten Grundschuld einleiten.

 

Ihr Ansprechpartner im Erbrecht:

Heiko Müller
Rechtsanwalt und Notar

u.a. Fachanwalt für Erbrecht